Read Faust Online

Authors: Johann Wolfgang Von Goethe

Faust (35 page)

BOOK: Faust
6.49Mb size Format: txt, pdf, ePub
ads

FAUST.

 
Das Pergament, ist das der heil’ge Bronnen,
 
Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
 
Erquickung hast du nicht gewonnen,
 
Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.

WAGNER.

570
Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,
 
Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;
 
Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
 
Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.

FAUST.

 
O ja, bis an die Sterne weit!
 
Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
 
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
 
Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
 
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
 
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
580
Da ist’s denn wahrlich oft ein Jammer!
 
Man läuft euch bei dem ersten Blick davon:
 
Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer
 
Und höchstens eine Haupt- und Staatsaktion
 
Mit trefflichen pragmatischen Maximen,
 
Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!

WAGNER.

 
Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!
 
Möcht’ jeglicher doch was davon erkennen.

FAUST.

 
Ja, was man so erkennen heißt!
 
Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?
590
Die wenigen, die was davon erkannt,
 
Die töricht gnug ihr volles Herz nicht wahrten,
 
Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
 
Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.
 
Ich bitt’ Euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
 
Wir müssen’s diesmal unterbrechen.

WAGNER.

 
Ich hätte gern nur immer fortgewacht,
 
Um so gelehrt mit Euch mich zu besprechen.
 
Doch morgen, als am ersten Ostertage,
 
Erlaubt mir ein’ und andre Frage.
600
Mit Eifer hab’ ich mich der Studien beflissen;
 
Zwar weiß ich viel, doch möcht’ ich alles wissen.
 
(
Ab.
)

FAUST
(
allein
)
.

 
Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
 
Der immerfort an schalem Zeuge klebt,
 
Mit gier’ger Hand nach Schätzen gräbt,
 
Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!
 
Darf eine solche Menschenstimme hier,
 
Wo Geisterfülle mich umgab, ertönen?
 
Doch ach! für diesmal dank’ ich dir,
 
Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen.
610
Du rissest mich von der Verzweiflung los,
 
Die mir die Sinne schon zerstören wollte.
 
Ach! die Erscheinung war so riesengroß,
 
Daß ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.
 
Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon
 
Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew’ger Wahrheit,
 
Sein selbst genoß in Himmelsglanz und Klarheit,
 
Und abgestreift den Erdensohn;
 
Ich, mehr als Cherub, dessen freie Kraft
 
Schon durch die Adern der Natur zu fließen
620
Und, schaffend, Götterleben zu genießen
 
Sich ahnungsvoll vermaß, wie muß ich’s büßen!
 
Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.
 
Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen!
 
Hab’ ich die Kraft dich anzuziehn besessen,
 
So hatt’ ich dich zu halten keine Kraft.
 
In jenem sel’gen Augenblicke
 
Ich fühlte mich so klein, so groß;
 
Du stießest grausam mich zurücke,
 
Ins ungewisse Menschenlos.
630
Wer lehret mich? was soll ich meiden?
 
Soll ich gehorchen jenem Drang?
 
Ach! unsre Taten selbst, so gut als unsre Leiden,
 
Sie hemmen unsres Lebens Gang.
 
Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,
 
Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an;
 
Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
 
Dann heißt das Beßre Trug und Wahn.
 
Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle,
 
Erstarren in dem irdischen Gewühle.
640
Wenn Phantasie sich sonst mit kühnem Flug
 
Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,
 
So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,
 
Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.
 
Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,
 
Dort wirket sie geheime Schmerzen,
 
Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;
 
Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,
 
Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,
 
Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;
650
Du bebst vor allem, was nicht trifft,
 
Und was du nie verlierst, das mußt du stets beweinen.
 
Den Göttern gleich’ ich nicht! Zu tief ist es gefühlt;
 
Dem Wurme gleich’ ich, der den Staub durchwühlt,
 
Den, wie er sich im Staube nährend lebt,
 
Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.
 
Ist es nicht Staub, was diese hohe Wand
 
Aus hundert Fächern mir verenget,
 
Der Trödel, der mit tausendfachem Tand
 
In dieser Mottenwelt mich dränget?
660
Hier soll ich finden, was mir fehlt?
 
Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,
 
Daß überall die Menschen sich gequält,
 
Daß hie und da ein Glücklicher gewesen?—
 
Was grinsest du mir, hohler Schädel, her,
 
Als daß dein Hirn wie meines einst verwirret
 
Den leichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer,
 
Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret?
 
Ihr Instrumente freilich spottet mein
 
Mit Rad und Kämmen, Walz’ und Bügel:
670
Ich stand am Tor, ihr solltet Schlüssel sein;
 
Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.
 
Geheimnisvoll am lichten Tag
 
Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben,
 
Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,
 
Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.
 
Du alt Geräte, das ich nicht gebraucht,
 
Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte.
 
Du alte Rolle, du wirst angeraucht,
 
Solang’ an diesem Pult die trübe Lampe schmauchte.
680
Weit besser hätt’ ich doch mein weniges verpraßt,
 
Als mit dem wenigen belastet hier zu schwitzen!
 
Was du ererbt von deinen Vätern hast,
 
Erwirb es, um es zu besitzen.
 
Was man nicht nützt, ist eine schwere Last,
 
Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.
 
Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle?
 
Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet?
 
Warum wird mir auf einmal lieblich helle,
 
Als wenn im nächt’gen Wald uns Mondenglanz umweht?
690
Ich grüße dich, du einzige Phiole,
 
Die ich mit Andacht nun herunterhole!
 
In dir verehr’ ich Menschenwitz und Kunst.
 
Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,
 
Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte,
 
Erweise deinem Meister deine Gunst!
 
Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,
 
Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,
 
Des Geistes Flutstrom ebbet nach und nach.
 
Ins hohe Meer werd’ ich hinausgewiesen,
700
Die Spiegelflut erglänzt zu meinen Füßen,
 
Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.
 
Ein Feuerwagen schwebt auf leichten Schwingen
 
An mich heran! Ich fühle mich bereit,
 
Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen,
 
Zu neuen Sphären reiner Tätigkeit.
 
Dies hohe Leben, diese Götterwonne,
 
Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?
 
Ja, kehre nur der holden Erdensonne
 
Entschlossen deinen Rücken zu!
710
Vermesse dich, die Pforten aufzureißen,
 
Vor denen jeder gern vorüberschleicht.
 
Hier ist es Zeit, durch Taten zu beweisen,
 
Daß Manneswürde nicht der Götterhöhe weicht,
 
Vor jener dunkeln Höhle nicht zu beben,
 
In der sich Phantasie zu eigner Qual verdammt,
 
Nach jenem Durchgang hinzustreben,
 
Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt;
 
Zu diesem Schritt sich heiter zu entschließen,
 
Und wär’ es mit Gefahr, ins Nichts dahinzufließen.
720
Nun komm herab, kristallne reine Schale!
 
Hervor aus deinem alten Futterale,
 
An die ich viele Jahre nicht gedacht!
 
Du glänztest bei der Väter Freudenfeste,
 
Erheitertest die ernsten Gäste,
 
Wenn einer dich dem andern zugebracht.
 
Der vielen Bilder künstlich reiche Pracht,
 
Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,
 
Auf einen Zug die Höhlung auszuleeren,
 
Erinnert mich an manche Jugendnacht;
730
Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,
 
Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht zeigen;
 
Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht;
 
Mit brauner Flut erfüllt er deine Höhle.
 
Den ich bereitet, den ich wähle,
 
Der letzte Trunk sei nun, mit ganzer Seele,
 
Als festlich hoher Gruß, dem Morgen zugebracht!
 
        (
Er setzt die Schale an den Mund
.)
 
        (
Glockenklang und Chorgesang
.)

CHOR DER ENGEL.

 
              Christ ist erstanden!
 
              Freude dem Sterblichen,
 
              Den die verderblichen,
740
              Schleichenden, erblichen
 
              Mängel umwanden.

FAUST.

 
Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton
 
Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?
 
Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon
 
Des Osterfestes erste Feierstunde?
 
Ihr Chöre, singt ihr schon den tröstlichen Gesang,
 
Der einst, um Grabes Nacht, von Engelslippen klang,
 
Gewißheit einem neuen Bunde?
BOOK: Faust
6.49Mb size Format: txt, pdf, ePub
ads

Other books

Possessing Allura by Reese Gabriel
Wild Island by Jennifer Livett
Against a Dark Sky by Katherine Pathak
The Last Sundancer by Quinney, Karah
Aladdin's Problem by Ernst Junger
Mother's Day by Lynne Constantine
Report to Grego by Nikos Kazantzakis
Mayday by Jonathan Friesen